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Ernst Lindner


Foto Privatbesitz

Persönliche Daten
Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
Mitgliedschaften
Vita
Stellenwert
Werke
Primärquellen
Sekundärquellen
Persönliche Mitteilungen
Anmerkungen
Persönliche Daten
* 23.09.1870 - † 04.04.1956
Geschlecht: m
Geburtsort: Skoczow
damaliger Name: Skotschau, Österr. Schlesien
Land: Polen
damaliger Name: Österreich-Ungarn
Sterbeort: New York
Land: USA
Religionsbekenntnis: Mosaisch
Berufsbezeichnung: Architekt
Familiäres Umfeld: Vater: Hermann (1844–1932), Fabrikant
Mutter: Rosa, geb. Silberstein (1846–1912)
Bruder: Richard, Musiker
Ehe: mit Irma Deutsch (1881–1954)
Kinder: Karoline (1906–1953), verh. Schueller, Valentin (1909–2000 ?)
Bürogemeinschaft: 1900–1906 Ateliergemeinschaft mit Theodor Schreier
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Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
um 1890Einjährig Freiwilligen Jahr
ca.1891–1894Technische Hochschule Wien (Baufach)
um 1900Studienreise nach Italien
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Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
1894–1895Praktikant bei Carl Korn, Bielitz, Österr.Schlesien / Bjelsko-Bialej, POL
1896–1898Praktikant im Atelier von Friedrich Schön
1900–1918freiberuflicher Architekt in Wien und Biala, Galizien / Bjelsko-Bialej (1900–1906 assoziiert mit Th. Schreier)
1907Befugnis zum behördlich autorisierten Architekten
1919–1934Leiter des technischen Amtes der israelitischen Kultusgemeinde in Wien
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Mitgliedschaften
ab 1896Österr. Ingenieur- und Architektenverein
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Vita
Ernst Lindner wurde 1870 als Sohn eines gut situierten Fabrikanten in Skotschau / Skoczow geboren, das damals zu Österreichisch-Schlesien gehörte. Die Familie zählte zu den ältesten und angesehensten der kleinen jüdischen Gemeinde. Nicht gezwungen den väterlichen Betrieb zu übernehmen, konnte Lindner in Wien an der Technischen Hochschule Architektur studieren, wo er unter anderen Karl König zu seinem Lehrer hatte, der ihn sehr in seiner Bewunderung der italienischen Kunst und Kultur beeinflusste. Nach Beendigung seines Studiums praktizierte er bei der großen Baufirma Carl Korn in Bielitz / Bjelsko-Bialej und bei Friedrich Schön in Wien, um sich jedoch bald in Arbeitsgemeinschaft mit Theodor Schreier, der gleichfalls ein Schüler Karl Königs war, selbständig zu machen.

Die Ateliergemeinschaft, die ihren Sitz in Wien hatte, konnte in der Folge zahlreiche Wohnbauten, aber auch große Projekte für die öffentliche Hand, wie Schulen, Synagogen, Amtsgebäude und anderes mehr, in Wien und den Kronländern der Monarchie errichten, wobei die Konstellation insofern günstig war, als Lindner gute Kontakte nach Bielitz unterhielt, während Schreier in Wien gut vernetzt war. Darüber hinaus beteiligten sie sich auch an zahlreichen Wettbewerben, unter anderem für den Bau einer Synagoge in Triest.

Um 1906 trennte sich Lindner jedoch von seinem Partner. Da er zu diesem Zeitpunkt eine Familie gründete, ist zu vermuten, dass er möglicherweise völlig unabhängig sein wollte. Die rege Bautätigkeit in Bielitz, die ihm in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Aufträge einbrachte, könnte ihn in seiner Entscheidung bestärkt haben. Dessen ungeachtet lebte Lindner aber in Wien, wo er auch weiterhin sein Büro unterhielt.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs rückte Lindner, der ein großer Patriot war, sofort ein. Möglicherweise hatte er in einem der zahlreichen militärischen Baubüros gearbeitet. Nach Kriegsende war die Situation für Lindner äußerst schwierig und eine Fortführung der freiberuflichen Tätigkeit nahezu aussichtslos, da in Österreich infolge der schlechten wirtschaftlichen Situation die Bauwirtschaft völlig darnieder lag und Bielitz jetzt zu Polen gehörte. Lindner nahm in der Folge die Stelle des technischen Leiters der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde an, die er bis zu seiner Pensionierung 1934 innehatte. In dieser Funktion leitete er auch die Renovierung des Stadttempels in der Seitenstettengasse. Lindner, der weltoffen und kunstinteressiert war, unterhielt auch rege Kontakte zu Künstlern und Intellektuellen, insbesondere zu Persönlichkeiten aus seiner schlesischen Heimat, wie dem Kunsthistoriker Josef Strzygowsky.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland geriet die Familie unmittelbar in größte Schwierigkeiten. Lindners Tochter, die mit einem sozialdemokratischen Widerstandskämpfer verheiratet war, der sofort interniert wurde, flüchtete bereits Ende 1938 nach England, um ihren Vater umgehend zu sich zu holen. Dieser Umstand rettete Lindner, der aufgrund seines fortgeschrittenen Alters möglicherweise in Wien geblieben wäre, das Leben. Sein Bruder Richard und dessen Familie und auch sein ehemaliger Partner Theodor Schreier kamen hingegen alle im Holocaust um.

Nach einer schwierigen Zeit in dem von Bombenangriffen heimgesuchten London, konnte Linder mit seiner Frau schließlich 1943 in die USA einreisen. Nach einer abenteuerlichen Überfahrt auf einem winzigen griechischen Frachter, erreichte die Familie nach einigen Komplikationen New York. Trotz seines fortgeschrittenen Alters konnte sich Lindner aber relativ gut einleben, wobei ihm seine Sprachkenntnisse und sein großes Interesse am New Yorker Kunstleben halfen. Seine letzten Jahre wurden jedoch von einer familiären Tragödie überschattet, als seine heißgeliebte Tochter viel zu jung und völlig unerwartet an Krebs verstarb. Nur zwei Jahre später sollte er ihr bereits hoch betagt – im 86.Lebensjahr – folgen, als er sich von den Folgen eines Sturzes, der einen Hüftbruch nach sich zog, nicht mehr erholte.
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Stellenwert
Ernst Lindner gehörte dem großen Kreis der Schüler Karl Königs an, die um die vergangene Jahrhundertwende in Wien tätig waren. Dementsprechend war sein Werk von einer eher der Tradition verpflichteten Haltung geprägt, die aber dennoch der Moderne gegenüber nicht unaufgeschlossen war.

Die frühesten Bauten, die in Zusammenarbeit mit Theodor Schreier in den Jahren 1900–1905 entstanden, zeigen weitgehend einen neobarocken Duktus (z.B. Korpskommandatur Hermannstadt, 1902/4) mit einzelnen Übernahmen secessionistischer Details. Späterhin wird eine mehr klassizierende Haltung spürbar, die zu einer Rücknahme der Plastizität führt, wobei der repräsentative Charakter aber bewahrt wird. Diese Charakteristika prägen seine bedeutendsten Bauten, wie die Gewerbeschule in Bielitz oder die elegante Mietvilla Wien 19, Huleschgasse 5–7 (1912), wobei sich insbesondere letztere formal der Ästhetik der Wiener Werkstätte annähert. Kennzeichnend ist auch eine Anreicherung der Fassade durch figurative Elemente, zumeist Putti.

Bedeutung hatte Lindner auch auf dem Gebiet des Synagogenbaus, mit dem er sich in einigen Artikeln theoretisch auseinandersetzte. Dementsprechend fungierte er des Öfteren auch als Juror bei diversen Synagogenausschreibungen. Allerdings war es ihm selbst nur sehr eingeschränkt möglich, seine innovativen Ideen auch zu realisieren. In Zusammenarbeit mit seinem Kompagnon setzte er den bei dieser Bauaufgabe nicht sehr üblichen Typus eines Zentralbaus erstmals bei der kleinen Synagoge in Ustron (1902) um. Einige Jahre später 1904 konzipierten sie für den damals sehr prominenten Wettbewerb für eine Synagoge in Triest, an dem sich zahlreiche bedeutende Wiener Architekten beteiligten, einen monumentalen Zentralkuppelbau, der formal an der so genannten Wagner-Schule angelehnt war. Obwohl ihr Entwurf ex aequo preisgekrönt wurde, erhielten sie nicht den Auftrag. Dessen ungeachtet war es ein bedeutender Prestigeerfolg für die Bürogemeinschaft. Auch nach der Trennung von seinem Partner experimentierte Linder mit diesen Ideen weiter, konnte sie allerdings kaum realisieren. Bei der dekorativen Ausgestaltung jüdisch konnotierter Bauten wandte er generell eine Synthese von neoromanischen Elementen mit maurisch-orientalischen Details an, die insbesondere im Eingangsbereich zum Einsatz kamen (israelitische Schule in Bielitz, 1904, oder Synagoge in Neutitschein, 1908).
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Werke

WOHN-/GESCHÄFTSBAUTEN:
1901Wohnhaus Dr. Weinbrenner, Langenzersdorf, Klosterneuburger Straße 11, NÖ (mit Th. Schreier)
1903Villa in Heiligenstadt, Wien 19, Amalgergasse 4 (mit Th. Schreier)
1904Miethaus, Bielitz-Biala, Österr.Schlesien / Bjelsko-Bialej, ulica 3 Maja (Lenina) 1a, PL (mit Th. Schreier)
1905Miethaus Bielitz-Biala / Bjelsko-Bialej, pl. Smolki 7, PL (mit Th. Schreier)
1909Zweifamilienhaus für Bürgermeister Sohlich in Skotschau, Österr.Schlesien / Skoczow, PL
1910Miethaus, Bielitz-Biala / Bjelsko-Bialej, Wzgorce (ulica Kosmonautow) 5, PL
1911–1912Miethaus, Bielietz-Biala / Bjelsko-Bialej, ulica Podciene 2/Rynek 17, PL
1911Miethaus, Bilitz-Biala / Bjelsko-Bialej, pl. Smolki 4, PL
1912Miethaus, Bielitz-Biala / Bjelsko-Bialej, ulica 11 Listopada (Dzierzynskiego) 4, PL
1912Mietvilla, Wien 19, Huleschgasse 5–7
1914Miethaus, Wien 1, Habsburgergasse 10 (mit Fr. Schön)

ÖFFENTLICHE BAUTEN:
1899Choleranotspital, Krakau, Galizien / Krakow, PL (mit Th. Schreier)
1900Synagoge Skotschau, Österr.Schlesien / Skoczow, PL (mit Th. Schreier, nicht erhalten)
1901Grand Hotel Brünn, Mähren / Brno, CZ (Umbau, mit Th. Schreier)
1902Synagoge Ustron, Österr.Schlesien / PL (mit Th. Schreier)
1902–1904Korpskommandaturgebäude Hermannstadt, Siebenbürgen / Sibiu, RO (mit Th. Schreier, jetzt Universität)
1903Volks- u. Bürgerschule Skotschau, Österr.Schlesien / Skoczow, PL (mit Th. Schreier)
1904Amtshaus u. Schule der Israelitischen Kultusgemeinde, Bielitz-Biala, Österr.Schlesien / Bjelsko-Bialej, ulica A. Mickiewicza 22, PL (mit Th. Schreier)
1908Synagoge Neutitschein, Österr-Schlesien / Novy Jicin, CZ
1909Gewerbeschule Bielitz-Biala / Bjelsko-Bialej, ulica Sixta 20, PL
1921Grabmal Popper-Lynkeus, Wien 11, Zentralfriedhof (Ehrengrab in Auftrag der IKG)
1923Renovierung des Stadttempels Wien 1, Seitenstettengasse 4

NICHT REALISIERTE PROJEKTE:
1897Quellentempel Gießhübel, Böhmen / Kyselka, CZ (Wettbewerbsenwurf, mit Th. Schreier, 2.Preis)
1899Bürgerladenfondhaus Wien 1, Wollzeile / Riemergasse (Wettbewerbsentwurf, 3.Preis, mit Emmerich Spielmann)
1898Versicherungsanstalt Brünn, Mähren / Brno, CZ (Wettbewerbsentwurf, mit Th. Schreier)
1902Realschule in Teplitz, Böhmen / Teplice, CZ (Wettbewerbsentwurf, mit Th. Schreier)
1903Croatisch-slawonische Hypothekenbank Agram, Kroatien-Slavonien / Zagreb, HR (Wettbewerbsentwurf, mit Th. Schreier, ein Ankauf)
1903Gemeindeamt in Jablunkau, Österr.Schlesien / Jablunkov, CZ (Wettbewerbentwurf, mit Th. Schreier)
1904katholische Kirche Bielitz-Biala, Österr.Schlesien / Bjelsko-Bialej, PL (Wettbewerbsentwurf, mit Th. Schreier, ein 2.Preis)
1904Synagoge Triest / Trieste, I (Wettbewerbsentwurf, ein 2.Preis, mit Th. Schreier)
1909Synagoge (Entwurf)
1909Waisenhaus und Ferienheim in Bielitz-Biala / Bjelsko-Bialej, PL (Entwurf)
1912Synagoge Klosterneuburg, NÖ (Wettbewerbsentwurf)
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Primärquellen

PUBLIKATIONEN:
E. Lindner: Allgemeines öffentliches Kaiser Franz Josef Spital in Bielitz, entworfen und ausgeführt von Karl Korn. In: Bautechniker 13.1893, S.687ff
E. Lindner: Synagogen, griechische und russische Kirchen. In: M. Paul: Technischer Führer durch Wien 1910, S.281ff

NACHLÄSSE UND ARCHIVE:
Archiv ÖIAV (Anmeldeformular)
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Sekundärquellen

LITERATUR:
E. Chojetzka: Architektura i urbanistyka Bielska-Bialej 1855–1939. Katowice 1987
U. Prokop: Die Synagoge von St.Pölten und ihre Architekten Viktor Postelberg und Theodor Schreier. In: David, 21.Jg., April 2009, Nr.80, S.46ff
U. Prokop: Ernst Lindner (1870–1956), der vergessene Synagogenarchitekt. in: David, 22.September 2010, S.60ff
J. Spyra: In the shadow of the Skoczow Synagogue. Bielsko-Bialej 1998

HINWEISE AUF WERKE:
Der Bautechiker
20.1901, S.962 (Synagoge Ustron)
21.1902, S.545ff (Wohnhaus Weinbrenner, Langenzersdorf)
22.1902, S.745ff u.S.979f (Realschule Teplitz-Schönau)
23.1903, S.1f (Volksschule Skotschau), S.961ff (Hypothekenbank Agram), S.1045ff (Sparkassa Jablunkau)
25.1905, S.341f (Villa Wien-Heiligenstadt)
27.1907, S.53f (Wohn-Geschäftshaus in Bielitz),
29.1909, S. 97ff, T.6 (Synagoge Neutitschein); S.897, T.47 (Zweifamilienhaus in Skotschau); S.933f, T.49 (Zweifamilienhaus in Hadersdorf)
32.1912, S.10421f, T.42 (Mietvilla Wien 19, Huleschgasse 3)
38.1918, S.369f (Synagoge Klosterneuburg)

Wiener Baundustriezeitung
14.1897, Beil. S.35f, T.67f (Quelltempel Giesshübel)
16.1899, S.17ff (Versicherungsanstalt Brünn)
17.1900,S.19ff (Bürgerladenfondhaus Wien 1, Riemergasse)
21.1904, S.391ff, T.100 (Korpskommandatur Hermannstadt)
22.1905 S.71f, T.19f (Synagoge Triest)
23.1906 S.99f, T.23 (Amts- u. Wohngebäude der israelit. Kultusgemeinde in Bielitz-Biala)
25.1908, S.75ff (zwei Wohnhäuser in Bielitz)
26.1909, S.339, T.77 (Entwurf einer Synagoge); S.254f u. S.256 (Waisenhaus in Bielitz)
28.1911, S.387ff (Entwurf einer Villa)

ZÖIAV
51.1899, T.7 (Umbau Miethaus Wien 1, Wollzeile 28)

NACHSCHLAGEWERKE:
Dehio Wien/1; Dehio Wien/3 (X.–XIX.u.XXI.–XXIII.Bez.); Dehio, Polen Schlesien 2005; Achl. III/3
S. Waetzoldt: Bibliographie zur Architektur im 19.Jh. Nendeln 1977

LEXIKA:
H. Kosel: Deutsch-österreichisches Künstler- und Schriftsteller-Lexikon. Wien 1902
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Persönliche Mitteilungen
freundliche Auskunft Mrs. Doris Baum, Bristol, USA (Enkelin)
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Anmerkungen
Eingegeben von: Ursula Prokop
Eingegeben am: 01.03.2011
Zuletzt geändert: 04.11.2011
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