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Jakob Gartner


Foto ÖIAV 1894

Persönliche Daten
Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
Auszeichnungen und Ämter
Mitgliedschaften
Vita
Stellenwert
Werke
Primärquellen
Sekundärquellen
Anmerkungen
Persönliche Daten
* 06.10.1861 - † 15.04.1921
Geschlecht: m
Geburtsort: Prerov
damaliger Name: Prerau, Mähren
Land: Tschechien
damaliger Name: Kaisertum Österreich
Sterbeort: Wien
Land: Österreich
Religionsbekenntnis: Mosaisch
Berufsbezeichnung: Architekt
Familiäres Umfeld: Vater: Isaak Löbl G. (ca.1830-1913) Mühlenbesitzer
Mutter: Rosa, geb. Galia
4 Geschwister
Ehe (1908) mit Anna (Netti), geb. Lanzer, gesch. Grünbaum
Sohn aus 1.Ehe der Frau: Dr. Robert Grünbaum
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Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
1879-1883Staatsgewerbeschule Brünn
1886-1888Akademie der bildenden Künste Wien (bei K. Hasenauer)
o.J.Studienreise nach Oberitalien
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Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
ab 1888Tätigkeit als selbständiger Architekt
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Auszeichnungen und Ämter
1892Ehrendiplom bei der internat. Kunstausstellung in Zagreb / Agram, HR
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Mitgliedschaften
ab 1894Österr. Ingenieur- und Architektenverein
ab 1904NÖ Gewerbeverein
o.J.Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde
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Vita
Jakob Gartner wurde im Jahr 1861 in Prerau in Mähren als Sohn einer jüdischen Familie geboren. Nach dem Besuch der Staatsgewerbeschule in Brünn absolvierte er zwei Praxisjahre bei der Bauunternehmerfirma Knauer, Groß & Löwenfeld, war sodann ein Jahr als Architekturzeichner bei Carl Korn in Bielitz tätig, arbeitete daraufhin zwei Jahre im Atelier von Hugo Wiedenfeld und schließlich weitere drei Jahre bei Gustav Matthies in Wien. Vermutlich bereits zu dieser Zeit studierte Gartner an der Akademie der bildenden Künste in der Spezialschule von Karl Hasenauer, um sich ein Jahr nach Abschluss seines Studiums selbständig zu machen.

Gartner führte ein erfolgreiches Architekturbüro und erbaute in Wien eine Reihe von Wohn- und Geschäftshäusern sowie Villen. Gleichzeitig war er auch in diversen anderen Städten der Donaumonarchie, vor allem in Olmütz / Olomouc, CZ, tätig.

Gartner konnte sich insbesondere als Erbauer von Synagogen einen Namen machen. Er erbaute eine Vielzahl an jüdischen Gebetshäusern in diversen Städten der Donaumonarchie und ab dem Jahr 1896 auch in Wien, die allerdings alle in der sog. Reichskristallnacht 1938 zerstört wurden.

Während des Ersten Weltkriegs war die wichtigste Aufgabe Gartners die Errichtung der israelitischen Friedhofsanlage am Zentralfriedhof in Wien 11. Da die bestehende Israelitische Abteilung beim 1.Tor überbelegt war, jedoch aus Platzmangel nicht erweitert werden konnte, wurde östlich der Evangelischen Abteilung ein Areal für die „Neue Israelitische Abteilung“ erworben. Gartner plante zwar die Gesamtanlage, konnte als Zeremonienhalle aus Kostengründen jedoch nur ein Provisorium errichten, das heute als Werkstatt benutzt wird. Die neue Zeremonienhalle wurde schließlich von Ignaz Reiser in den Jahren 1926-1928 erbaut.
Jakob Gartner starb in Wien im Alter von 60 Jahren und wurde am Döblinger Friedhof bestattet.
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Stellenwert
Jakob Gartner erbaute äußerst repräsentative Gebäude für das großstädtische Bürgerturm. In der Konzeption der Häuser blieb er dem traditionellen Schema treu und erzielte mit palaisartigen Gestaltungsweisen jene Formulierungen, mit der die häufig erst in neuester Zeit zu Reichtum gekommene Klientel sich auch gesellschaftlich entsprechend zu positionieren suchte. Die Fassaden sind meist mit kräftigen Gesimsen horizontal gegliedert, was dem Anspruch auf Monumentalität Ausdruck verleiht (z.B. Wien 3, Dapontegasse 4, 1906). Durch den Einsatz secessionistischer Motive, die in das konventionelle Schema eingefügt sind, konnten sich die Bauherren entsprechend dem Stil der „gemäßigten Moderne“ jedoch auch als fortschrittsfreudig und modern präsentieren (z.B. 8, Albertgasse 7, 1901-1902).

Eckhäuser erhielten zumeist mächtige Abrundungen, die in der Dachzone mit Kuppeln oder Giebelaufsätzen betont wurden (1, Biberstraße 2). Kennzeichnend ist, dass Gartner häufig die Mittelachse der Fassaden wirkungsvoll betont, wie etwa beim Haus Biberstraße 4, wo zwischen zwei Erkerreihen Balkone mit zierlichen Geländern gespannt sind.

Von besonderer Bedeutung im Werk Gartners ist der Synagogenbau. Allein in Wien errichtete Gartner vier Synagogen. Die besonders eindrucksvolle Synagoge in Wien 10, Humboldtgasse war ein monumentales Eckhaus und wurde von einer großen Zentralkuppel, zwei großen sowie acht kleinen Zwiebeltürmen beherrscht. Bei den Synagogen, die im Straßenverbund lagen, erhielten die Eingangsfassaden zwei Türme (5, Siebenbrunnengasse). Stark modifizierte romanisierende Formen, Übergiebelungen mit Rundbogenfriesen, Rundfenster bzw. großen Rundbogenfenster rückten diese Bauten in die Nähe zu den gleichzeitig entstandenen neoromanischen Kirchenbauten, d.h. die zwiebelförmigen Turmhelme dienten letztlich auch der Abgrenzung zu den christlichen Bauten bei gleichzeitig weitgehender formaler Annäherung.

Bei den Synagogen, die Gartner in den östlichen Städten der Donaumonarchie errichtete, arbeitete er grundsätzlich zwar nach den gleichen Prinzipien, orientierte sich dort allerdings mit einer Fülle von Türmchen, Aufsätzen, Kuppeln sowie komplizierten Ornamenten in verschiedenfarbigen Steinen ästhetisch weitaus stärker an der orientalischen Bauweise.

In Jabob Gartners Stilwahl für die unterschiedlichen Bauaufgaben zeigt sich paradigmatisch die Architekturästhetik des Historismus, die die Stile zum einen frei verfügbar machte, gleichzeitig aber auch auf die geschichtlich-assoziative Kraft der einzelnen Formelemente vertraute. Letztlich artikuliert sich damit im Schaffen Gartners auch der Wille zur Assimilation. Stets auf ästhetisch gefällige Lösungen im Sinne des herrschenden Zeitgeists bedacht, schwingt bei den Synagogen Gartners die Erinnerung an Ursprung und Identität der jüdischen Glaubensgemeinde fast nur mehr als romantisierend verklärter Hinweis auf den „anderen“, nämlich fremdländischen Kulturkreis mit. In einem durchaus analogen Verfahren findet sich der neue Geldadel in Gartners Werk mittels prächtiger neobarocker Fassaden nobilitiert und das Judentum mittels Anlehnung an die Romanik in den Geschichts- und Gesellschaftszusammenhang des Abendlandes aufgenommen.
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Werke

WOHN-/GESCHÄFTSBAUTEN:
1895Villa Eduard Hamburger, Olmütz / Olomouc, Videnska 2, CZ
1897-1898Wohn- und Geschäftshaus, Brünn, Mähren / Brno, CZ, Ferdinandsgasse (heute Masarykova) 32
1898Miethaus, Wien 9, Borschkegasse 8
1899Villa Gallia, Baden/NÖ, Weilburgstraße 20
1901Miethaus, Wien 4, Johann Strauß-Gasse 32
1901-1902Miethaus, Wien 8, Albertgasse 36 / Florianigasse 54
1902Wohnhaus, Wien 1, Biberstraße 4
1902Wohn-, Büro und Geschäftshaus, Wien 1, Stubenring 24 / Dr. Karl Lueger Platz 6 / Biberstraße 2
1904-1905Wohn- und Geschäftshaus, Wien 1, Stubenring 14 / Rosenbursenstraße 10
1905Wohn- und Geschäftshaus J. Gartner, Wien 1, Stubenring 2 / Wiesingerstraße 10 / Julius Raab-Platz 3 (früher Aspernplatz 3)
1906Miethaus, Wien 3, Dapontegasse 4 / Riessgasse
1906-1907Miethaus, Wien 6, Theobaldgasse 16 / Pfauengasse 3 (1958 umgestaltet)
1910Wohn- und Geschäftshaus, Wien 3, Invalidenstraße 9 / Ditscheinergasse 2-4
Mehrere Wohn- und Geschäftshäuser sowie Villen in Städten der Donaumonarchie, vor allem in Olmütz

ÖFFENTLICHE BAUTEN:
1890Synagoge, Freistadt / Hlohovec, SK / Galgocz, H (zerstört)
1891Synagoge, Tyrnau (Nagy Szombat), H / Trnava, SK (heute Kulturzentrum)
1892-1893Synagoge, Holleschau, Mähren / Holesov, CZ (zerstört)
1892-1896Synagoge, Troppau, Österr.Schlesien / Opava (Wettbewerb 1.Preis, zerstört)
1894Synagoge, Debrecen, H (Wettbewerb, 1.Preis, zerstört)
1896Synagoge, Wien 10, Humboldtgasse 27 (1938 zerstört)
1895-1897Synagoge, Olmütz, Mähren / Olomouc, CZ (zerstört)
1898Synagoge, Wien 20, Kluckygasse 11 (1938 zerstört)
1898Synagoge, Prerau, Mähren / Prerov, CZ (heute griechisch-orthodoxe Kirche)
1898Synagoge, Wien 11, Braunhubergasse 7 / Hugogasse (1938 zerstört)
1899Synagoge, Oderberg / Bohumin, CZ (zerstört)
1899-1901Ehem. Wöchnerinnenheim Lucina, Wien 10, Knöllgasse 22-24
1901Synagoge, Orlau / Orlova, CZ (zerstört)
1901-1904Synagoge, Proßnitz, Mähren / Prostejov, CZ (zerstört)
1907-1908Synagoge, Wien 5, Siebenbrunnengasse 1 (1938 zerstört)
1908-1910Synagoge, Kremsier, Mähren / Kromeriz, CZ (zerstört)
1914-1917 Friedhofsanlage Neue Israelitische Abteilung, Wien 11, Zentralfriedhof (mit prov. Zeremonienhalle)
nach 1900Synagoge, Neumarkt/ Tirgu Mures, RO (zerstört)

NICHT REALISIERTE PROJEKTE:
1890Rathaus in Oedenburg / Sopron, H (Wettbewerb, lobende Anerkennung)
1903Synagoge in Bingen/Rhein, D (Wettbewerb, Ankauf)
1908Kriegsministerium Wien (Wettbewerb)
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Primärquellen

NACHLÄSSE UND ARCHIVE:
Archiv ÖIAV; Matrikenarchiv d. IKG Wien, IKG Gräberdatenbank; WStLA (Todfallsaufnahme, Verlassenschaftsabhandlung); MA 43 (Gräberdatenbank, Grabprotokoll Friedhof Döbling); Parte der Gattin im Archiv Adler
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Sekundärquellen

LITERATUR:
P. Genée: Wiener Synagogen 1825-1938. Wien 1987
K. Klemmer: Jüdische Baumeister in Deutschland. Wien 1998
P. Kortz: Wien am Anfang d. 20.Jh.s. 2.Bd. Wien 1906.
Kunsthist. Arbeitsgruppe GeVAG: Wiener Fassaden des 19.Jh.s. Wien 1976
A. Kieslinger: Die Steine der Wiener Ringstraße. In: R. Wagner-Rieger (Hrsg.): Die Wiener Ringstraße. Bd.4, Wiesbaden 1972
ÖKT 44: G. Hajos: Die Profanbauten des III., IV., und V. Bezirks. Wien 1980
V. Slapeta / J. Vybiral / P. Zatloukal: Opavska Architektura let 1850-1950. In: Umeni 34.1986, S.229ff
R. Wagner-Rieger (Hrsg.): Das Kunstwerk im Bild. In: Die Wiener Ringstraße. Bd.1, Wiesbaden 1969
P. Zatloukal: Okresni archiv v Olomouci 1988. Olomouc 1989, S.178-194
P. Zatloukal u.a. (Hg.): Slavne vily Olomouckeho Kraje. Praha 2007

HINWEISE AUF WERKE:
Der Architekt
7.1901, S.3 (Portal Wien 4, Johann Strauß-G.)
13.1907, T.46 (Portal Wien 1, Stubenring 14)

Der Bautechniker
22.1902, S.61ff (Wohn- und Geschäftshaus Wien 8, Florianig./Albertg.)

Neubauten in Österreich. 3 Bde, Wien o.J.
1.Band, T.17 (Wien 1, Stubenring 14) / T.18 (1, Stubenring 2)

Neubauten in Wien, Prag, Budapest. Wien 1904
S.60 (Wien 1, Stubenring, Innenansicht)

Neubauten u. Concurrenzen
2.1896, S.17ff (Wohnhaus Albin Redlich in Ölmütz) / S. 55f (Villa des Herrn Eduard Hamburger in Olmütz)
4.1898, H.1, T.4 (Wohnhaus und Reitschule f. Herrn Josef Hausner, Olmütz) / H.2, T.11f (Wohn- und Geschäftshaus d. Herrn R. Stodulka, Brünn)

WBIZ
20.1902, S.73f (Wöchnerinnenheim Wien 10, Knöllg. 22-24) / S.147 (Wohnhaus in Prerau)
27.1910, T.76 (Miethaus Wien 1, Stubenring 2)

Wiener Neubauten im Style der Sezession. 5 Bde. Wien 1902ff
4.Band, T.30 (1, Stubenring 2) / T.31 (8, Florianig.54)

NACHSCHLAGEWERKE:
Achl. III/1
Dehio Wien/1 (I.Bez.); Dehio Wien/2 (II.-IX.u.XX.Bez.); Dehio Wien/3 (X.-XIX.u.XXI.-XXIII.Bez.)
Eisenberg: Das geistige Wien. 1893.
S. Waetzoldt: Bibliographie zur Architektur im 19.Jh. Nendeln 1977
P. Zatloukal: A Guide to the Architecture of Brno 1815-1915. Brno 2000

LEXIKA:
AKL; Weihsmann 05
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Anmerkungen
In diversen Quellen werden unterschiedliche Geburtsdaten angegeben. Das hier angegebene Geburtsdatum folgt den Angaben der IKG und des WStLAs.
Eingegeben von: Inge Scheidl
Eingegeben am: 01.07.2007
Zuletzt geändert: 11.07.2023
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