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Franz Schacherl

Persönliche Daten
Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
Mitgliedschaften
Vita
Stellenwert
Werke
Primärquellen
Sekundärquellen
Anmerkungen
Persönliche Daten
* 28.11.1895 - † 28.10.1943
Geschlecht: m
Geburtsort: Wien
Land: Österreich
damaliger Name: Österreich-Ungarn
Sterbeort: Nova Lisboa
Land: Angola
Religionsbekenntnis: Mosaisch
Familiäres Umfeld: Vater: Michael Sch. (1869-1939), Dr.med., Publizist, Politiker
Mutter: Viktoria Sch.
1.Ehe (1916) mit Clementine (nach Amerika ausgewandert)
2.Ehe mit Grete Kienzl
3. Ehe mit Rosa (+ England)
Tochter Magda (+ 1934)
Bürogemeinschaft: ab 1921 Arbeitsgemeinschaft mit Franz Schuster
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Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
o.J.Technische Hochschule Graz
1917Einberufung zum Technischen Referat des Gruppenkommandos Etschtal
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Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
ab 1920Tätigkeit beim ÖVSK (Leiter des Konstruktionsbüros)
ab 1925Tätigkeit im Siedlungsamt der Gemeinde Wien (mit F. Schuster)
1926Gründung der Zeitschrift „Der Aufbau, Österreichische Monatshefte für Siedlung und Städtebau“ (mit F. Schuster)
1933Kurse an Wiener Volkshochschulen
vor 1938Mitarbeit an der Zeitschrift „Plan“
1939Tätigkeit in Nova Lisboa, ANG
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Mitgliedschaften
1926Zentralvereinigung der Architekten Österreichs
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Vita
Franz Schacherl stammte aus einer jüdischen sozialdemokratischen Familie. Sein Vater, Michael Schacherl, war Arzt, Reichsrats-, später Nationalratsabgeordneter, Verfasser zahlreicher Broschüren, Chefredakteur des steirischen „Arbeitswillen“ und wegen politischer Delikte mehrfach vorbestraft. Franz Schacherl studierte zunächst in Graz Architektur und verbrachte eine Großteil seiner Jugend in Wien und in der Steiermark.
Zu Beginn der 20er Jahre arbeitete Schacherl als Architekt beim „Österreichischen Verband der Siedler in Wien, Kleingärtner und Kleintierzüchter“, der 1921 nach einer Phase der wilden Landnahme und des wilden Siedelns entstand. Generalsekretär dieser Genossenschaft war der Philosoph, Soziologe und Volksbildner Otto Neurath, der die Arbeiterbildung in Österreich entscheidend prägte. Im Planungsbüro des ÖVSK waren die Chefarchitekten George Karau und von 1923–25 Franz Schuster tätig. Weitere Mitarbeiter waren Josef Frank und Margarete Schütte-Lihotzky. Schacherl war als radikalrer Sozialist auch gewerkschaftlich aktiv, wobei er sich als Betriebsobmann des Verbandes auch mit zum Teil drastischen Mitteln gegen Lohnkürzungen zur Wehr setzte und dadurch seine Position als Leiter des Konstruktionsbüros gefährdete.

Franz Schacherl arbeitete mit Franz Schuster, der sich 1925 selbständig machte, zusammen am Siedlungsamt der Gemeinde Wien. Im Wien der Zwischenkriegszeit wurde Schacherl als kritischer Theoretiker des sozialen Wohnbaus und als innovativer Planer großer Reihenhaus-Siedlungen bekannt, die er ebenfalls in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Franz Schuster entwarf und plante. 1926 gab Franz Schacherl gemeinsam mit Schuster die Architekturzeitschrift „Der Aufbau – Österreichische Monatshefte für Siedlung und Städtebau“ heraus, deren erklärtes Ziel es war, für einen neuen Impuls in Richtung „Gartenstadt“ zu wirken und den „Hochhausbau“ (damit sind auch die gigantomanischen Wiener Arbeiterwohnblöcke gemeint) zu beenden. Bedeutende Vertreter der Moderne wie Josef Frank und Bruno Taut arbeiteten ebenso an der Zeitschrift mit.

Mit der Ausschaltung des Parlaments 1933 durch Dollfuß und dem 1934 folgenden Verbot der Sozialdemokratie blieben auch die Aufträge für Schacherl aus, zunächst konnte er sich noch durch Kurse an Wiener Volkshochschulen, dann nur mehr durch kunstgewerbliche Tätigkeiten über Wasser halten.

Aus dieser Zeit der „inneren Emigration“ 1934–37 stammte ein „Hausbuch“, ein künstlerisch gestaltetes Gästebuch, das Aquarelle und Collagen von ihm und seinen Freunden, u.a. von Otto Rudolf Schatz, Karl Wiener, Franz Senkinc und Rudolf Pointner enthielt und sowohl kulturhistorisch bedeutsam als auch durch seine Gestaltung stilgeschichtlich interessant war.

Vor dem „Anschluss“ im Jahre 1938 war Schacherl Mitarbeiter der ersten Nummer der Zeitschrift „Plan“, die unmittelbar nach der Besetzung Österreichs beschlagnahmt wurde. Der „Plan“ gilt in der Literaturgeschichte als die wichtigste Kulturzeitschrift der linken Avantgarde, vergleichbar in seinem Stellenwert mit der „Fackel“ von Karl Kraus, die nicht nur in der Einbandfarbe Vorbild war. Der Plan-Kreis war identisch mit Gruppen der österreichischen Widerstandsbewegung. Im Mittelpunkt des ersten Heftes standen Architektur und Bildende Kunst. Franz Schacherl veröffentlichte einen programmatischen Beitrag „Über zukünftiges Bauen“: Darin tritt er für „eine neue Formsynthese, einen höheren, unhistorischen Klassizismus“ ein. Auch Abbildungen von Arbeiten Plischkes und Zotters waren darin enthalten.

Als Vertreter der internationalen Moderne, Sozialist und Jude höchst gefährdet, flüchtete er 1938 nach Paris, nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass die Gestapo sein Atelier am Reumannplatz durchsucht und besetzt hatte. Durch Vermittlungen von Baron Rothschild konnte er in Paris Kontakte mit der portugiesischen Regierung für Arbeiten in der Kolonie Angola knüpfen. Nach seinen Entwürfen wurden ein Hotel und ein Kino erbaut. Einem Brief vom 26.5.1939 ist zu entnehmen, dass Schacherl vor Ort sein Büro installieren konnte und in der angolanischen Presse mit Vorschusslorbeeren bedacht worden war. Private Aufträge seien allerdings von der Zustimmung des Generalgouverneurs abhängig gewesen, die zahlreichen Empfänge erschienen ihm mitten im tropischen Afrika lächerlich und anstrengend.

Nach drei Jahren ergebnislosen Planens in Nova Lisboa übersiedelte Schacherl nach Luanda. Im Mai 1943 starb seine Tochter Magda infolge schlechter ärztlicher Versorgung an einer Blinddarmentzündung. Am 28. Oktober desselben Jahres starb Schacherl unter ähnlichen Spitalsbedingungen während der Operation an einem durchgebrochenen Magengeschwür im Alter von 48 Jahren in Luanda.
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Stellenwert
In der Zwischenkriegszeit wurde Schacherl als kritischer Theoretiker des sozialen Wohnbaus und innovativer Planer großer Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen für Arbeiter bekannt, die er in Zusammenarbeit mit Franz Schuster ausführte. Mit ihren Bauten für Arbeiter standen sie in Opposition zu den Hauptströmungen der Wohnbaupolitik des „Roten Wien“.

1924 entstand die „Schutzbund-Siedlung“ in Knittelfeld mit ca. 24 Häusern nach Schacherls Plänen. Für den Mentor der österreichischen Architektur-Kritik, Friedrich Achleitner, zeigt sie „in überzeugender Weise“, wie mit bescheidenen Mitteln städtebauliche Qualitäten erzeugt werden konnten. Die noch sehr gut erhaltene Siedlung „Am Wasserturm“, Wien 10, Raxstraße 31–111 von 1923–24 mit 190 Häusern, ist die erste, die nicht auf genossenschaftlicher Grundlage errichtet wurde. Klaus Novy schreibt „es vollzieht sich hier der Übergang von der genossenschaftlichen zur Eigenheimsiedlung“, d.h. die Einfamilienhäuser wurden von der GESIBA (Genossenschaftlichen Siedlungs- und Baugenossenschaft) als eine Art „Heimbauhilfe- Programm“ errichtet, die Bewohner mussten aber 20% Eigenmittel aufbringen, was die weniger verdienenden Arbeiter ausschloss. Heute sind die Häuser Privateigentum. Die beiden Architekten erreichten hier einen ungewöhnlich hohen Standard in der Planung, der Haustypen und der bis ins kleinste durchdachten Wohnabläufe. Die Architektur zeigt den Geist Heinrich Tessenow, dessen Schüler und Assistent der langjährige Mitarbeiter von Schacherl, Franz Schuster, war. Die Häuser sind zweigeschossig und verfügen über ein ausbaufähiges Dach; die halbe Grundfläche ist unterkellert, jedes Haus hat Wasser-, Gas-, Strom- und Kanalanschluss. Wohnküchen wurden mittels „Küchenschrank“ (Vorläufer der „Frankfurter Küche“) in Wohn- und Kochraum getrennt. Die Spülküche ist zugleich Bad und Waschküche.

Anlässlich des Internationalen Wohnungs- und Städtebaukongresses in Wien (1926) forderte Schacherl, die Elendsviertel der Großstädte durch Siedlungen zu ersetzen. Weitgehende Enteignungsgesetze und eine entsprechende Stadtplanung sollten dies gewährleisten. Die Stadt sollte sich in Richtung der Gartenstadt entwickeln, der „Hochhausbau“ aufgegeben werden. 1926 schrieb er für das theoretische Organ der Sozialdemokratie, den „Kampf“: „Sozialistische Architektur kann und darf nicht kleinbürgerlich sein, [...] darf nicht absolutistisch, königlich sein [...]. Wir müssen den Mut haben, so nüchtern und klar wir für gesellschaftliche, kulturelle und religiöse Umstellungen eintreten, unbekümmert um die Kritik [...], dass wir Zertrümmerer von Kulturen sind, auch für die Architektur einer neuen, proletarischen Welt einzutreten. Wir müssen den Mut haben, die große Nüchternheit- Ernüchterung, die große Einfachheit-Vereinfachung, die große Klarheit-Klärung [...] auch in der Architektur zu suchen und zu wollen [...].“ Zum proletarischen Wohnen schrieb er: „Der große Organisator, der Gewerkschaftsführer, der Politiker, der organisierte Arbeiter [...] hat in seiner Wohnung den verlogensten, unbrauchbarsten und überflüssigsten Kleinkram der kleinbürgerlichen Welt [...]. Alle die Spitzen und Decken und Samtvorhänge und geschnörkelten und geschnitzten Möbel, die Psychen und wie diese Dinge alle heißen, scheinen ihm wichtig, weil ein absterbendes Bürgertum sie wichtig nimmt [...]. Die proletarische Wohnung wird eine eigene Form bekommen, einen eigenen Stil und eine eigene Kultur. Die Kultur der Sachlichkeit, der Reinlichkeit und der Klarheit, schon deshalb, weil das auch das Wirtschaftlichste und Befreiendste für die Hausfrau ist [...]. Was nützt es, wenn die Frau gesellschaftlich frei wird und die Sklavin einer verlogenen Wohnromantik bleibt [...]?“ (Proletarische Architektur)

1932 publizierte Schacherl eine Stellungnahme für das Flachdach: „Das flache Dach gibt [...] mehr als bloß eine Nutzfläche, mehr als Luft, Licht und Grün [...]. Es kann durch seine neue Funktion ein wichtiges Element neuer menschlicher Gemeinschaft werden, denn wichtiger als neue Baustoffe und Konstruktionsmethoden, ornamentlose Flächen und kubistische Formen ist, dass der neue Mensch die Wohnform findet, die ihn zu einer neuen, menschlichen Gemeinschaft führt.“

Insgesamt entstanden nach den Plänen von Franz Schacherl moderne Siedlungsbauten mit zusammen 1200 Häusern – Volkswohnbauten, Kinderheime, Genossenschaftshäuser und Arbeiterheime.
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Werke

WOHN-/GESCHÄFTSBAUTEN:
1921SiedlungSüd-Ost, Wien10, Laaer-Berg-Straße151-203/Kronatwettergasse/Bitterlichstraße/Schautagasse/Oppenheimgasse/Koliskogasse/Weichselbaumgasse/Burgenlandgasse (mit Franz Schuster)
1921 Kriegerheimstätte Hirschstetten, Wien 23, Quadenstraße/Murraygasse/Gladiolenweg/Schrebergasse/Markweg (mit Adolf Loos, Franz Schuster, Georg Karau)
1923-1924 Siedlung Am Wasserturm, Wien 10, Raxstraße 29-111 (mit Franz Schuster)
1924 Schutzbundsiedlung, Knittelfeld, Stmk., Friedensstraße, Friedensplatz (mit Franz Schuster)
1924-1926 Siedlung Neustraßäcker, Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße (mit Franz Schuster); (1948-1950 erweitert von Michael Engelhart und Fritz Judtmann)
1926-1927 WHA d. Gem. Wien „Karl-Volkert-Hof“, Wien 16, Thaliastraße 75/Kreitnergasse (mit Franz Schuster)
1927 Gemeindesiedlung „Laaer-Berg“, Wien 10, Laaer-Berg-Straße 168-202, Burgenlandgasse (stark verändert)
1928 WHA d. Gem. Wien, Wien 2, Wehlistraße 305
1929 Siedlung, Wien 10, Laaer-Berg-Straße 166, 172, 202
vor 1930Haus Theodor und Olga Fleischner, Wien 19, Waldaugasse 3
1931 WHA d. Gem. Wien „Franz-Mair-Hof“, Wien 2, Schüttelstraße 5-9/Laufbergergasse 1/Vivariumstraße 10

ÖFFENTLICHE BAUTEN:
1927Kindergarten der Siedlung Süd-Ost, Wien 10, Laaer Berg, Lippmanngasse 3
vor 1930Kinderheim, Bruck an der Mur, Stmk

NICHT REALISIERTE PROJEKTE:
1926Landhaus (mit Franz Schuster)
1929Volkswohnhaus einer Kulturgemeinschaft (mit Franz Schuster)
1932Siedlungs-Doppelhaus (mit Anton Brenner)
1932Gemeindewohnhausanlage, Wien (mit Anton Brenner)
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Primärquellen

PUBLIKATIONEN:
F. Schacherl und F. Schuster: Proletarische Architektur. In: Der Kampf, Jänner 1926, S. 34ff
F. Schacherl und F. Schuster: Unser Wollen. In: Der Aufbau 1926, S.1f
F. Schacherl: Zur Stadtentwicklung Wiens. In: Der Aufbau 1926, S.118ff
F. Schacherl: Die Städtebauer der ganzen Welt. In: Arbeiterzeitung, 12.9.1926
F. Schacherl: Das flache Dach. In: Arbeiterzeitung, 20.7.1932
F. Schacherl: Die Farbe in Kunst und Alltag, 1933 (unveröffentlichtes Typoskript)
F. Schacherl: Probleme der Bauwirtschaft bei einem Architekturwettbewerb. In: Profil 1936, S.357ff
F. Schacherl: Über zukünftiges Bauen. In: Plan 1 (1938)

NACHLÄSSE UND ARCHIVE:
Achleitner-Archiv; WstLA
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Sekundärquellen

LITERATUR:
G. Eisenhut: Franz Schacherl, Architekt und Publizist. In: Ausst.Kat. Graz 1998
W. Förster. Die Wiener Arbeitersiedlung vor dem 2. Weltkrieg – Eine Alternative zum kommunalen Wohnbauprogramm? In: Der Aufbau 35.1980, Nr.12
O. Kapfinger: Positionen einer liberalen Moderne. In: Der österrreichische Werkbund, Salzburg 1985
I. Meder: Offene Welten: die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910-1938. Diss. Stuttgart 2003
A. Seda: Ursachen und Entwicklung des komunalen Wohnbaus. In: Der Aufbau 20.1965, Nr.1/2
H. Weihsmann: Das Rote Wien. Wien 2002

HINWEISE AUF WERKE:
der aufbau
20.1965, Nr.1/2, S.34ff (Eigenheimkolonie, Wien X, „Am Wasserturm“, mit F. Schuster)
35.1980, Nr. 12, S.405ff (Siedlung Hirschstetten, Wien 22, 1921), (Siedlung Laaerberg, Wien 10, Burgenlandgasse), (Siedlung Neustraßäcker, Wien 22, Straßäckergasse), (Siedlung „Am Wasserturm“, Wien 10, Raxstraße)

Moderne Bauformen
26.1927, S.187,400,402 (Eigenheimkolonie und Siedlungshäuser)

profil
4.1936, H.8, S.357ff (Probleme der Bauwirtschaft bei einem Architektur-Wettbewerb)

NACHSCHLAGEWERKE:
Achl. III/1; Achl. III/2; Dehio 2 – II.-IX. u. XX. Bezirk; Dehio 3 – X.-XIX. und XXI.-XXIII. Bezirk
Achl. II - Ktn., Stmk., Bgld. Salzburg/Wien 1983

INTERNETLINKS:
http://www.stmk.gv.at/verwaltung/lmj-ng
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Anmerkungen
Eingegeben von: Petra Schumann
Eingegeben am: 01.11.2005
Zuletzt geändert: 16.02.2007
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